Der Hornbrief - Februar 2018 - Gedanken zur Interpretation

Hallo,

anbei Gedanken zur Interpretation im Jagdhornbereich...

Hier der gesamte Artikel als PDF-Dokument: Gedanken zur Interpretation - Martin Geyer

 

1      Inhalt

2       Vorwort 1

3       Allgemeines zur Interpretation?. 1

3.1        Was ist Interpretation?. 1

3.2        „Standards“ in der Interpretation und Fallstricke. 4

3.3        Wann ist Interpretation notwendig?. 6

3.4        Herangehensweise zur Interpretation eines Stückes. 7

3.4.1         Autor, Land und Zeitepoche. 7

3.4.2         Titel des Stückes. 8

3.4.3         Hörbeispiele: 8

4       Wie bekomme ich die (meine) Interpretation der Gruppe vermittelt?. 9

5       Grenzen der Interpretation: 9

6       Interpretationsbeispiel „Im Wienerwald“ (Prof. Johann Hayden) 10

7       Fazit 11

8       Literatur/Links. 12

2      Vorwort

„Interpretation beim Jagdhornblasen?“. Es mag sich mancher Bläser sagen: Vorne blase ich hinein, hinten kommt der Ton heraus. Was geblasen werden soll, steht in den Noten. Wo ist da der Platz für die Interpretation, brauchen wir überhaupt eine Interpretation in der Jagdmusik?

Es stellen sich Fragen, wie

  • Was kann man, wann sollte man, wie weit kann man interpretieren?
  • Wo bekomme ich Informationen, wie ich interpretieren kann?
  • Wie vermittle ich (als Dirigent/Bläsercorpsleiter/Hornmeister) meine Vorstellung der Gruppe?

Doch zunächst muss definiert werden, was überhaupt Interpretation ist, oder eben nicht!

3      Allgemeines zur Interpretation?

 3.1     Was ist Interpretation?

„Der Komponist erschafft ein Werk, der Dirigent (Hornmeister) erweckt dieses zum Leben.“

Wikipedia führt zur Interpretation aus:

„Der klassische Interpret führt in aller Regel in einer musikalischen Darbietung genaueste Vorgaben hinsichtlich Tonhöhen und Tondauern aus und hat praktisch keinen Raum für eigene Ergänzungen. Persönliches Profil erhält die Interpretation durch Entscheidungen, die an den Stellen getroffen werden, an der die Notation keine exakten Angaben macht.

In erster Linie betreffen diese:

  • Das Spieltempo (genaueste Tempoangaben mithilfe des Metronoms erwiesen sich als nicht durchsetzungsfähig genug, um dem Interpreten diese Entscheidung abzunehmen),
  • feine Abweichungen vom Grundtempo eines Stückes in seiner Darbietung (Rubato, Agogik),
  • Charakterisierung des Rhythmus durch minimale Abweichungen von der mathematisch exakten Ausführung (Beispiel: im Wiener Walzer wird der zweite Taktteil vorgezogen, also etwas früher angespielt),
  • Gestaltung der jeweiligen Klangfarbe, sowie
  • Artikulation

Zusammengenommen ergibt sich ein kreativer Spielraum, wie ihn die exakten Vorgaben im Notentext nicht erwarten lassen und die außerordentliche Unterschiede von Interpretationen eines Werkes zulassen.

Eine gelungene Interpretation zeichnet sich dadurch aus, dass sie das volle Klang-, Ausdrucks- und Wirkungspotential des interpretierten Werkes entfaltet. Die Arbeit des Interpreten ist darin der des Schauspielers vergleichbar, wobei die im Notentext fixierten Vorgaben noch enger sind.“

Wo setzt nun die Interpretation an?

Spieltempo

Das Spieltempo ist oft vorgegeben durch eine Metronomzahl, an der man sich auch orientieren sollte. Bei Fehlen der Metronomzahl gibt es oft musikalische Bezeichnungen, die die Metronomzahl (und Typus) des Stückes ersetzen, wie z.B. Andante, Allegro, …. Fehlt auch dieses, kann man sich vielleicht am Charakter des Stückes orientieren, der z.B. durch den Titel ausgedrückt wird. Ein Titel „Marsch“ bedeutet quasi Marschtempo mit 120 Viertel pro Minute.

Hier ist viel Toleranz gegenüber anderen gefragt: wie lustig sind für mich die Kommentare anderer (meiner) Bläser beim Anhören der „Interpretationen“ anderer Gruppen, vor allem bezogen auf das Spieltempo. „die blasen das ja viel zu langsam“  - solange wir das identische Stücke schneller aufführen oder vice versa….Eigene Gewohnheiten sind hier übermächtig!

Dynamik im Stück

Ich kenne nur wenige Bläsergruppen, die Stücke dynamisch ausgeprägt vom echten ppp bis zum fff aufführen – es sollte aber – wo verlangt – das Ziel sein. Meist geht das Spektrum – je nach Bläser – nur über wenige Dynamikstufen, so z.B. vom pp bis mf, oder vom mf bis fff. Insgesamt ergibt sich dann leider meist nur ein Lautstärkespektrum von p bis f. Dynamik ist aber ein wesentlicher Ausdruck in der Musik, mit ihr kann innerhalb eines Tones aber auch im Verlauf des Musikstückes gespielt werden.

Dynamikverteilung zwischen den Stimmen

Oft sind Dynamiken pauschal für alle Stimmen gesetzt, manchmal darf eine solistische Stimme etwas lauter erklingen. Eine häufige Dynamikverteilung ist 40-20-20-20 (Prozent) für die 1., 2., 3. und Bassstimme. Dies erlaubt eine Führung der ersten (Melodie-) Stimme und eine proportionale Beteiligung der anderen Stimmen (dies widerspricht nicht dem Grundsatz in der Bassstimme wesentlich mehr Bläser einzusetzen! Da die tiefen Töne weniger stark wahrgenommen werden, bedarf es dort eines größeren Einsatzes).


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Trotz dieser pauschalen Verteilung ist es jedoch notwendig innerhalb eines Stückes zu differenzieren. Häufig ist an einer Stelle nur eine Stimme maßgeblich, wenn es mal nicht homophon erklingt (alle Instrumente blasen den gleichen Tonverlauf) – diese Stimme muss dann auch gehört werden! Dazu muss – allen Dynamikangaben zum Trotz – diese Stelle auch herausgehoben werden. Und so darf z.B. bei „Im Wienerwald“ trotz fehlender Dynamikänderung der Bass in Takt 18 lauter erklingen, während die anderen Stimmen auf dem ausgehaltenen g schnell leiser werden.

Tempo

Auch wenn konkrete Tempiangaben durch den Komponisten gemacht wurden, erlaubt die Interpretation hier zu verändern. Diverse Bläserbewerbordnungen erlauben Abweichungen bis zu vier Metronomstufen, was schon gewaltig ist. Es sollte sich aber am vorgegebenen Tempo orientiert werden. Eine bekannte Differenzierung dürfte das „eingebaute“ ritardando vor jeder Fermate sein. Auch hier kann verändert werden, mal mehr, mal weniger, auch Fermaten können lang oder kurz gehalten werden, ganz wie es die Situation erfordert.
Durch Tempoänderungen (z.B. „Anziehen des Tempos“, acc.) wirkt ein Stück lebhafter, es wird ein anderer Eindruck erreicht, Verlangsamungen können dramatisieren.

Der Begriff dafür ist die „Agogik“ (Lehre der Tempoveränderungen):
„Die Änderungen liegen außerhalb der mechanischen Tempowerte (Metronom) und sind Bestandteil der musikalischen Interpretation durch den Dirigenten oder Solisten. Dies betrifft vor allem feinste Temponuancierungen innerhalb musikalischer Phrasen bei melodischen oder harmonischen Höhepunkten, die den Vortrag ausdrucksvoll gliedern und beleben. So können große Intervallsprünge ein wenig mehr Zeit benötigen als kleinere Schritte, und harmonische Vorhalte oder der erste Ton einer Zweier-Bindung werden oft ein wenig gedehnt….Die künstlerisch bedingten Tempoveränderungen können einhergehen mit den Änderungen der Dynamik. Beides zusammen bildet den Kern der Vortragskunst eines Musikers und mit ihrer wirkungsvollen Anwendung erweist sich seine künstlerische Geistes- und Empfindungsreife.“ (Wikipedia)

Rhythmik

Es gibt typische Musikstile, in denen eine besondere (nicht notierte) Rhythmik verlangt wird. Bekannt ist dies z.B. vom Wiener Walzer bei dem der zweite Schlag minimal vorgezogen wird. Eine originale französische Wiedergabe von Fanfaren verlangt eine noch weit ausgefeiltere rhythmische Berücksichtigung (die ich hier anderen überlasse, z.B. Le Noveau Depart: https://www.youtube.com/watch?v=BJEy9yv2UsA). Eine Anleitung und Interpretationshilfe dafür schrieb Norbert Geißler, 2010, in „Französische Jagdfanfaren“ (Eigenverlag). Dort übersetzt er die französischen Fanfaren, wie es für unsere Es-Parforcehörner spielbar wäre, um sich dem französischen Original anzunähern.

Einzelne Tonausgestaltung

Neben der Dynamik, Tempo und Rhythmik, die sich nur im Verbund vieler Töne verwirklichen lassen, verlangt auch jeder einzelne Ton eine eigene Ausgestaltung je nach Stück und Situation. So kann differenziert werden in kräftig (bis scharf/blechern) oder weich angestoßen, zum nächsten Ton gebunden oder abgesetzt, einem schnellen oder langsameren cresendo im Tonverlauf (vergleiche den Artikel „Der idealtypische Jagdhornton“, Martin Geyer (auf www.parforcehornmusik.de)). Je nach Zusammensetzung ergibt sich damit ein anderer Klang. Eine (französische) Fanfare würde z.B. einen starken Anstoß, mitunter blechern, verlangen („Piqué“) und einen Tonverlauf (auf hohem Lautstärkeniveau) bis zum Erklingen des nächsten Tones.
Eine österreichische Fanfare á la Schantl dagegen einen mittleren Anstoß mit einem rasch verklingenden Ton (siehe die Grafiken unter „Herangehensweise zur Interpretation eines Stückes“)

Siehe z.B. zu französischen Stilelementen: https://www.parforcehornmusik.de/index.php/jagdmusik/trompe-de-chasse-in-d/franzoesische-fanfare-teil-3

3.2     „Standards“ in der Interpretation und Fallstricke

Nein, es gibt keine allgemeingültigen Standards beim Interpretieren. Jedoch haben sich bestimmte Formen durchgesetzt, die auf die meisten klassischen Stücke anzuwenden sind und vom Zuhörer als angenehm und passend empfunden werden. Ein paar für unseren jagdmusikalischen Bereich (und deren eher klassische Stücke) möchte ich erläutern, da sie quasi einerseits Standard sind und andererseits oft falsch gemacht werden.

  • Auftakte ohne Betonung

Auftakte (außer mit Betonungszeichen) erfolgen nie betont, der Schwerpunkt liegt auf der folgenden Note im Volltakt. Durch eine Betonung passiert es einerseits, dass die Note zu breit geblasen wird und damit das Tempo falsch wird, andererseits der Rhythmus falsch aufgenommen wird (bekannt ist uns dies, wenn ein Stück erst „so langsam anläuft“ bis es das richtige Tempo aufgenommen hat). Ausnahme sind hier z.B. die französischen Fanfaren in französischer Spielweise (Trompe). Dort wird absichtlich der Auftaktton betont und gedehnt.

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Abschnitt aus „Der Jäger aus Kurpfalz“

  • Abphrasieren am Ende des Teils/Stückes

Am Ende von Teilen oder insbesondere Stücken erfolgt in der Regel eine Abphrasierung, d.h. ein Leiserwerden der letzten Noten. Dies würde im folgenden Beispiel quasi wie ein Decrescendo im letzten Takt wirken:

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Abschnitt aus „Aufzug der Kavalkade“, Oskar Weber

Ausnahme wäre ein gesetztes Crescendo oder eine lange Schlussnote in einem „Prachtstück“ (hier würde das ganze Stück durch eine abschwellende Noten quasi sterben und von seiner Wirkung verlieren – die Lautstärke muss bis zum Schluss gehalten werden)

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Auszug aus „Introit“, Jules Cantin

  • „Phrasierungsbögen“ (PB)

PB sind einerseits ein musikalisches Zeichen für die Kennzeichung von Phrasierungsverläufen, andererseits wird aber auch der Verlauf der Phrasierung (ohne das Kennzeichen selbst) damit ausgedrückt. Allgemein zum „Phrasieren“:
(aus http://deacademic.com/dic.nsf/dewiki/1106318)
„Wie beim Heben und Senken der Stimme, Kürzen und Dehnen von Silben in der Sprache folgen auch in jeglicher Musik nie Töne gleichen Ranges aufeinander. Tonfolgen besitzen immer eine Struktur, z. B. durch Schwerpunkte melodischer, rhythmischer oder harmonischer Art, so dass sich einzelne Tongruppen (Motive) von anderen abgrenzen. Die dadurch entstehenden Phrasen werden durch die Phrasierung dem Hörer kenntlich gemacht.

Das Erkennen von Phrasen und ihrer Phrasierung wurde bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bei den Interpreten vorausgesetzt. Es finden sich lediglich einzelne Gliederungszeichen wie Kommata bei François Couperin oder Atemzeichen bei Heinrich Schütz. Mit dem Zunehmen komplizierter Strukturen und metrischer Freiheiten seit der Wiener Klassik wurde es nötig, solche zusätzlichen Vortragszeichen, sowie den von Hugo Riemann in seiner Phrasierungslehre eingeführten Phrasierungsbogen zur Kenntlichmachung von Phrasen zu nutzen.“

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durch den Komponisten gesetzte PB (bei „Isabel-Polka“ von Berthold Schick)

Häufig sind keine Kennzeichen gesetzt und man muss/kann seine Phrasierung selbst setzen. Ein Anhalt mag hier die Hinführung eines Themas zum höchsten Ton sein, ab dem sich das Thema wieder entspannt (und damit leiser wird). Z.B. könnte man im folgenden Beispiel (aus „Im Wienerwald von Johann Hayden) eine viertaktige Phrasierung machen, mit dem Höhepunkt beim A der ersten Stimme.

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Phrasierungsbögen werden manchmal vom Komponisten „manuell“ gesetzt, bzw. anders ausgedrückt durch ein cresc. und decresc.

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  • Verlangsamen vor einer Fermate

Fast traue ich mich nicht, dieses als „Interpretation“ hier aufzunehmen, da es zum musikalischen Standard gehört. Die Fermate gilt als einziges musikalische Zeichen, die eine Wirkung auf Noten hat, die VOR IHR stehen. Sie wirkt verlangsamend als ein leichtes Ritardando (Achtung: bei  Wettbewerben sollte dies sehr sparsam verwendet werden, da es ja nach Richter als fehlerhaft bewertet werden könnte).

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Schluss aus Jagdmenuett von D. Chiaparelli – gemäß der Anweisung unbedingt nur beim zweiten mal das ritardando anwenden: ein Einsatz beim ersten Spielen würde dem Publikum anzeigen, dass das Stück schon beendet ist.

  • Trennen von Phrasen mit „Atempausen“

Häufig werden vom Komponisten bereits Pausen oder Atemzeichen eingefügt, es ist jedoch möglich und nötig, auch ohne solche Zeichen Phrasen des Stückes zu trennen.

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 Beim „Auf, auf zum fröhlichen Jagen“ kann (und wird sicherlich) bedenkenlos nach der Dreiviertelnote eine Atempause (automatisch) gemacht.

Zumeist „einigt“ sich die Gruppe automatisch auf eine solche Trennstelle – solange diese passt, ist das wunderbar. Es gibt aber häufig Stellen in Stücken in denen diese Einigung zwar Phrasen trennt, aber nicht angewendet werden darf, da sie den Fluss des Stückes unterbrechen würde.

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 aus „Kein schöner Land“: nach den Viertel mit Punkt-Noten sollte jeweils nicht geatmet (oder pausiert) werden, da das Stück sonst wie „Stop-and-go“ klingt!

3.3     Wann ist Interpretation notwendig?

Zunächst müssen wir unterscheiden, um was es gehen soll:

Geht es um die klassischen Jagd- (leit) ‑signale, geblasen auf dem Fürst-Pless- oder Parforcehorn in B auf einer Treibjagd, gibt es keinen oder kaum Bedarf für eine Interpretation. Das Signal soll laut und deutlich geblasen werden. „Form follows function“ möchte man sagen. Das Signal soll auch einen Kilometer oder einen Wald weiter hörbar sein. Der Ton sollte dem „idealtypischen“ Jagdhornton entsprechen (siehe Hornbrief 2017-06 „Der idealtypische Jagdhornton“). Schlechte Akkustik, das Zusammenblasen mit Bläsern unterschiedlichen Qualitätsniveaus, nicht eingestimmte Hörner (Intonation) tun ein Übriges, dass eine „Klangvielfalt“ entsteht und eine Interpretation nicht möglich ist bzw. im Grundrauschen untergeht.

Für das Vortragen von Jagdmusik, so genannten „konzertanten“ Stücken, Jagdphantasien oder Jägermärschen durch eine geübte und eingespielte Gruppe bei guter Akustik sollten aber die „Punkte“ beim Publikum nicht verschenkt werden, die durch eine gefällige Interpretation erreicht werden können.

Für die meisten Wettbewerbe für das Jagdhorn ist jedoch ein „notengerechter Vortrag“ vorgeschrieben: hier erübrigt sich es zu interpretieren. Ein enges Anhalten an den Noten ist Pflicht!

3.4     Herangehensweise zur Interpretation eines Stückes

3.4.1      Autor, Land und Zeitepoche

Viele Informationen gibt der Autor und sein Herkunftsland selbst! Das Zeitalter in dem der Autor gelebt hat, könnte uns Hinweis geben, wie damals generell interpretiert wurde. Nur fehlen uns die Tonaufnahmen von diesen Zeiten. Eine Vorstellung haben wir vielleicht am ehesten von einem Menuett, dem barocken Gesellschaftstanz im Dreivierteltakt. Eine Vorstellung kann uns dazu eventuell eine Suche bei youtube.com geben.

Einen erheblichen Unterschied haben wir auf jeden Fall zwischen französischer (Trompe de Chasse mit Dampierre, Sombrun) und österreichischer Klangkultur (Schantl, Stiegler, Wunderer u.a.).

Die klassischen französischen Komponisten in ihren Fanfaren – zumindest wie sie heutzutage von Trompe de Chasse-Gruppen interpretiert werden – verlangen ein kräftiges Piquet (Akzentuieren des Tones), ein kräftiges Forte im Ton und einen durchaus scharfen Klang. In der Rhythmik finden sich häufige Versatze der Achtelgruppen – die man wohl um sie authentisch übermitteln zu können, mit der (französischen) Muttermilch aufgesaugt haben muss. Noten werden ausgeblasen, „Pausen“ zwischen Achtelnoten gibt es nahezu nicht.

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Den östereichischen Klang muss man sich übermittelt wissen aus der Kultur der böhmischen Musik. Klangbildnerisch waren hier in hohem Maße gestaltend Josef Schantl und seine Nachfolger (Karl Stiegler und Anton Wunderer), die Waldhornisten bei den Wiener Philharmonikern oder der Wiener Hofoper waren (Wunderer, „Johann Strauss des Hornquartetts“) und damit im Klang eingeordnet werden können.

Der Klang ist viel weicher, der Anstoß nicht scharf (waldhorn-ähnlicher), die Stücke freudig, zügig. Noten werden nicht laut durchgeblasen, sondern fast im Staccato gespielt.

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Deutsche Jagdhornbläsergruppen liegen hier – sowohl geographisch als auch musikalisch – häufig in der Mitte! Es wird nicht ein „Blasmusikstil“ gepflegt, aber auch kein französischer Trompe-Stil. Wenn es auch hier Abweichungen in die eine oder andere Richtung gibt.

Diese generellen Unterschiede sollten beim Blasen der jeweiligen Stücke beachtet werden.

3.4.2      Titel des Stückes

Viele Hinweise bieten uns in der Regel der Titel des Stückes. Vor allem Tempi sind durch Bezeichnungen wie Marsch (ca. 120 Viertel/min.), Polka (80 – 100 Schläge/min.) genau definiert. Daraus kann also leicht das Tempo abgeleitet werden.

Die Bezeichnung Wiener Walzer erlaubt darüber hinaus häufig die Ableitung der rhythmischen Verteilung, in diesem Fall das Vorziehen und Längen des zweiten Taktteils.

Häufig können Titel mit „Abend“, „Wald“, „Frieden“ eine ruhige fließende Spielweise symbolisieren, ohne Pausen zwischen den Noten und keinen großen Akzentuierungen.

3.4.3      Hörbeispiele:

Ein gutes Beispiel und Hilfestellung bei der eigenen Interpretation bieten Hörbeispiele von guten Gruppen. Aber Achtung! Aufnahmen oder Wiedergaben von Musikstücken auch durch gute Bläsergruppen gewährleisten nicht immer die richtige Interpretation. Deshalb sollte man die Hörbeispiele auch immer kritisch betrachten.

Zwei persönlich erlebte Beispiele sind:

Eine gute (Trompe-affine) Bläsergruppe aus dem deutschen Südwesten trug den Abend über überwiegend (französische) Fanfaren wieder, vorgetragen scharf, kraftvoll, im französischen Stil. Zum Abschluss kam das Volkslied „Kein schöner Land“ dran. Hier wurde dann ein gefühlvolles Volkslied in flottem Tempo und scharfen Piquets völlig fehl interpretiert.

Eine gute niederösterreichische Bläsergruppe blies im Konzert das (französische) „Les Echos des Vosges“ (Sombrun). Alle Töne wurden sehr weich geblasen, wie österreichische Blasmusik. Achtel im 6/8-Takt wurden abgesetzt, die Töne ohne Piquet geblasen. Beim Ton H wurde geschaltet statt gestopft, das F nicht offen geblasen (das mag noch Geschmackssache sein).

Man muss aber auch zugestehen: wer das Original nicht kennt, mag dieser Interpretation trotzdem zustimmen (erlaubt ist, was gefällt!).

4      Wie bekomme ich die (meine) Interpretation der Gruppe vermittelt?

Wenn sich der Interpret/Dirigent ein Bild des Stückes gemacht hat, gilt es dieses dann der Gruppe zu verdeutlichen.

Gut kann dies gelingen mit dem Vermitteln von Bildern, Stimmungen und Gefühlen zu einem Stück oder Teilen des Stückes. Ich selbst arbeite mit Begriffen wie „Sonnenaufgang“, „Das Reh am Abendansitz“, „lustiger Morgenaufstieg am Berg“ oder anderen. Gefühle können ein „weich“, „schmachtend“, „kraftvoll“ sein. Beispiele anderer Instrumente geben auch eine Vorstellung, wie es gewünscht wird: „Fanfarenklang“, „wie ein Waldhorn“, „breit ausgeblasen wie bei der Orgel“.

Manche Bläser gewinnen eher eine Vorstellung über ein Vormachen, Vorblasen durch den Hornmeister. Diese einzelnen Elemente müssen dann – wenn sie neu sind – aber auch explizit geübt werden. Immer eine Hilfe ist ein „aktives Dirigieren“ durch den Hornmeister (der dann eben mal nicht mitspielt). Durch Gestikulieren und Mimik können Lautstärke, Tempi, Gefühle übertragen, einzelne Stimmen zu mehr Lautstärke animiert werden.
Auch hier muss wieder beachtet werden, dass bei Wettbewerben ein Dirigieren nicht erlaubt ist (außer „Minimalzeichen“) und deshalb die Bläser wieder rechtzeitig „entwöhnt“ werden müssen.

Zur Festigung hilft dann die Zeit über Üben, Üben, Üben!

5      Grenzen der Interpretation:

Wie weit kann eine Interpretation gehen? Jede Interpretation sollte vor allem versuchen den Charakter des Stückes zu unterstützen. Eine Interpretation darf bei konzertanten Auftritten so weit ausgereizt werden, wie es gefällt. Tempi dürfen verändert werden (z.B. auch an das Können der Gruppe angepasst werden). Dynamik überhöht oder verringert (ein zu-Leise habe ich bei nahezu allen unseren Bläsergruppen nicht erlebt!).

Eine Interpretation muss sich aber auch immer am Können der eigenen Gruppe orientieren. Der häufigste und eigentlich auch schwerste Fehler ist, zu schnell zu spielen! Zu schnell für den Charakter des Stückes und vor allem zu schnell für das eigene Können. Ein Stück sollte höchstens so schnell gespielt werden, dass es auch an der schwierigen fehleranfälligen Stelle im Trio noch immer nicht gehudelt klingt.

Bei Wettbewerben gelten hingegen diese Freiheiten nicht. Die Auslegung bei Wettbewerben ist wesentlicher enger, die Interpretation hat nur geringe Freiräume. Leichte Tempoänderungen sind z.B. bei deutschen Wettbewerben bis zu vier Metronomstufen erlaubt – sollten aber nicht in Anspruch genommen werden! Nicht notierte Crescendi oder Decrescendi führen fast immer zu Fehlerpunkten. Leichte Phrasierungen werden wohl nicht negativ auffallen, auch die Überhöhung von „Solo“-Noten in einzelnen Stimmen wird eher positiv auffallen.

Aber vor alledem gilt:

Ein Laienspieler sollte sich zuerst einmal auf das Spielen der kleineren musikalischen Sinn-Einheiten mit möglichst hohen musikalischen Spiel-Qualitäten (Leichtigkeit der Ausführung, schöner Ton, rhythmische und dynamische Lebendigkeit, Exaktheit, Konzentration, ...) konzentrieren. Das ist wichtiger und die Grundlage der höheren musikalischen Schaffensprozesse.

6      Interpretationsbeispiel „Im Wienerwald“ (Prof. Johann Hayden)

Das Stück vom niederösterreichischen Landesbläserobmann und gesegneten Komponisten Johann Hayden bietet sich an, da es vielfältige Themen und Stimmungen im Stück integriert (einen herzlichen Dank an Prof. Johann Hayden für die Genehmigung zur Verwendung und seine Anweisungen zum Stück).

Das Stück besteht aus den folgenden Abschnitten:

  1. „Morgenidylle“ (76 Viertel)
  2. Übergang (96 Viertel)
  3. Übergang 2 (76 Viertel)
  4. „Die Jagd beginnt“ (104 Viertel mit Punkt) und „Breit“ (Übergang mit 76 Viertel mit Punkt)
  5. Jagd (96 Viertel mit Punkt)
  6. „Hirsch tot“ (63 Viertel mit Punkt) mit „Halali“ (84 Viertel mit Punkt)
  7. „Abendfrieden“ (76 Viertel)

Folgende „Anweisung“ gibt Johann Hayden selbst für sein Stück.

„Das Stück wurde aus Anlass des Jubiläums „1000 Jahre Wienerwald“ am 12. 04. 2002 unter der opus-Nr. 96 geschrieben und wurde im Zuge einer großen Veranstaltung am 16. Juni 2002 im Stift Heiligenkreuz von den „Breitenfurter Jagdhornbläsern“ uraufgeführt.

Es beginnt mit einer getragenen Melodie – kurz unterbrochen von einem etwas flotteren Teil -, die eine geruhsame Morgenidylle im Wienerwald darstellen soll. Dann erfolgt eine Art Ankündigungs-Signal, das den Jagbeginn ankündigt. Darauf folgt ein liebliches Motiv, das für die Schönheiten des Herbstwaldes steht und die Naturverbundenheit und Freude des Jägers widerspiegelt. Ein kurzes Signal „Hirsch tot“ samt „Halali“ beschreiben das Ende der Jagd. Eine getragene Melodie skizziert den Abendfrieden – nach einem Jagdtag -  im Wienerwald.“

Wie kann nun diese Interpretation aussehen?

Dies ist nur ein Beispiel, wie ich es sehe! Andere Dirigenten mögen ihrem Geschmack folgen.

Generell handelt es sich bei Johann Hayden um einen österreichischen Komponisten mit Verwurzelung in der österreichischen Musik, beim Parforcehorn im „Wiener Stil“ der Parforcehörner in Es. Alle Töne werden (relativ) weich angeblasen. Die Rhythmik ist exakt auszuführen.

„Morgenidylle“ (76 Viertel)

Beginnend mit einem breit gespieltem Viertel. Alle Noten weich angeblasen, selbst kleine Pausen zwischen den Noten sollten vermieden werden. Es sollte fließend klingen. Wichtig der Bass in Volltakt acht. Deutlich sollte der Bass auch mit seinen Triolen heraus zu hören sein, die – damit die Rhythmik herauskommt – leicht abgesetzt geblasen werden müssen. Schluss-Pedalton des Basses nicht zu lang blasen.

Übergang (96 Viertel)

Im Übergang müssen Achtel/Triolen und Sechzehntel deutlich akzentuiert werden. Der Schlusstakt mit seinen vier Vierteln muss wieder fließend und nicht zu schnell geblasen werden.

Übergang 2 (76 Viertel)

Akzentuierte und schnell verklingende Viertel in den ersten, zweiten und vierten Stimmen. Dritte Stimme eher etwas früh einsetzen mit den Achtelfiguren. Die Melodie wieder fließend und weich. Das Ritardando unbedingt erst im letzten Takt und spät beginnen.

„Die Jagd beginnt“ (104 Viertel mit Punkt)

Ein frischer und zügiger 6/ 8-Takt. Betont sollte nur das erste Achtel (eines jeweiligen Taktes – nicht der Auftakt!) werden. Die Viertel nicht zu breit anblasen. Bei „Breit“ darf ruhig ein ritardando eingeflochten werden

Jagd (96 Viertel mit Punkt)

Alle Achtel deutlich akzentuiert anblasen, unbedingt (leise) bis zum nächsten Ton blasen. Also kein Tatt-Tatt-Tatt, sondern Taa-Taa-Taa!! Die Achtel-Gruppen des Basses müssen deutlich herauszuhören sein (wie auch im Schlusstakt). Das ritardando darf ruhig etwas früher beginnen.

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Viertaktige Phrasierung mit dem Höhepunkt beim A der ersten Stimme (bzw. beim höchsten Ton).

„Hirsch tot“ (63 Viertel mit Punkt) mit Halali (84 Viertel mit Punkt)

Unbedingt gemeinsamer Einsatz. Keine Pause nach dem zweiten Takt

„Abendfrieden“ (76 Viertel)

Den Schluss bildet wieder ein schmeichelnder, weicher und fließender Klang, der Bass in seinen Vierteln überhöht. Keine Pausen zwischen den Noten! Zweitaktige Phrasierungsbögen (d.h. Lautstärke bis zum Ende des ersten Taktes ansteigend und wieder verringernd). Das forte überraschend einsetzend, das crescendo spät beginnend, muss der Schlusston unbedingt bis zum Schluss laut gehalten werden. Ein ritardando – wenn überhaupt - sollte nur der Bass durchführen.

7      Fazit

Wem das alles zu viel ist, oder zu subjektiv, oder nicht nach seinem Gusto, dem möchte ich das Fazit von Prof. Dieter Brenzke empfehlen, der sich in seinem Artikel der Beurteilung von Interpretationen widmet (s.u. Literatur):

  1. Eine allein richtige Interpretation gibt es nicht. Jede Interpretation ist im Prinzip ein Diskussionsbeitrag – zu einer Diskussion mit offenem Ausgang.
  2. Objektivität im Sinne eines Erkennens von Unerlaubtem setzt ein hohes Maß an Kennerschaft voraus und ist auch nie ganz frei von Subjektivität.
  3. Subjektivität ohne Toleranz ist Starrsinn. Es gilt, in sich stimmige Interpretationen zu akzeptieren.

8      Literatur/Links

Grundsätzlich interessant ist sicherlich Wikipedia mit dem Artikel:
„Interpretation in der Musik“,
https://de.wikipedia.org/wiki/Interpretation_(Musik)

Einen Versuch zur Beurteilung von Interpretationen macht Prof. Dr. Dieter Brenzke, Vorstand der Gesellschaft der Musik- und Kunstfreunde Heidelberg e.V. in
„Gibt es objektive Kriterien zur Beurteilung einer Interpretation? Ein Versuch.“
http://www.kammermusik-heidelberg.de/medien/texte/ueber-interpretation-in-der-musik

Um zu wissen, wo ein Musikstück einzuordnen wäre, ist ein Musikführer schon hilfreich; was es einem dann selbst bedeutet, was man dabei empfindet, ist eine andere Sache.

Hilfreich mag dahin gehend sein:

Treffpunkt Klassik. Begleit-CD: Musikinterpretationen und Textanalysen zu ausgewählten Werken der klassischen Musik. Sekundarstufe 1 von Dieter Rehm und Hans R. Stracke von Auer Gmbh (Audio CD)

Allerdings sagt keiner der Führer, man müsse das so oder so spielen, sondern sind nur eine Hilfe, um ein Bild vom Künstler und seinem Werk zu bekommen. Aber deswegen nennt man das ja auch Interpretationshilfen, weil es helfen soll, zu einer eigenen Interpretation zu kommen.

Das große Standardwerk: "Harenbergs Kulturführer Klaviermusik", gibt es auch für Orchesterstücke, Kammermusik uvm.

Eine Anleitung zur Interpretation will folgendes Buch geben
„Interpretation: Vom Text zum Klang (Studienbuch Musik)“ von Gerhard Mantel.

Gerhard Mantel geht in diesem Buch der Frage nach, über welche Mittel und Werkzeuge ein Interpret verfügen sollte, um einen Notentext zu dem vom Komponisten intendierten geistig-emotionalen Erlebnis zu machen. Im gedruckten Werk ist die "eigentliche Musik" bekanntlich noch nicht vorhanden. Welches aber sind die ästhetischen und gestalterischen Kriterien dafür, wie der Interpret mit dem Notentext umgehen kann oder muss, um ihn zu interpretieren und dem Hörer zu erklären?

Die Klangvorstellung, die innere Vorwegnahme der musikalischen Wirkung, ist eine entscheidende Voraussetzung für eine Interpretation. Darüber hinaus ist es aber wichtig zu wissen, worauf diese Wirkung beruht und wie sie erzielt werden kann.
Auf der Basis jahrzehntelanger Konzert- und Unterrichtserfahrung führt der Autor den Leser zu einer Einheit von Wissen, Planung, Intuition und Emotion und damit zu einer "Interpretationstechnik", die für eine gelungene Interpretation unverzichtbar und in jeweils ganz persönlicher Form von jedem Musiker erreichbar ist.

Für unsere (Jagdhorn-) Komponisten kann man sich an verschiedenen Quellen informieren, wie diese zu „verorten“ sind. Allerdings sind die Quellen leider sehr verstreut (ich werde versuchen, meine Komponisten-Datenbank in naher Zukunft in ansehnlicher Form zu veröffentlichen).

Interessant ist der Beitrag von „contrapunkte“:
http://contrapunkt-online.net/musik-werk-und-interpretation/

„Musik: Werk und Interpretation“

Hilfen zur Interpretation gibt…
https://www.gutefrage.net/frage/interpretationshilfen-fuer-klassische-musik

Interpretationshilfen für klassische Musik?

Allgemeines zum Phrasieren, z.B.:

http://deacademic.com/dic.nsf/dewiki/1106318)


Gruß und © Martin Geyer

Martin Geyer                       Dr. Peter Neu

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